„Mit dem Feingefühl des Weltmannes erkannte Wronskij bei dem ersten flüchtigen Blick auf die äußere Erscheinung dieser Dame, daß sie zur vornehmen Gesellschaft gehörte.“ Anna – so heißt die Dame, von der Leo Tolstoi hier erzählt – ist die Frau des zaristischen Beamten Karenin, die „etwas Holdseliges und Zartes erfüllte, das unwillkürlich bald in ihrem leuchtenden Blick, bald im Lächeln zum Ausdruck gelangte. Sie hatte mit Absicht den Glanz in ihren Augen gelöscht, aber er strahlte gegen ihren Willen in dem kaum merklichen Lächeln.“
Trotz ihres glanzvollen Umfelds führt Anna ein einsames und tränenreiches Leben. Der frostige Stolz und die Lieblosigkeit ihres Gatten treiben sie schließlich in die Arme des jungen Offiziers Wronskij. Die Affäre provoziert einen Skandal, und bald sehen sich die Liebenden bösesten Anfeindungen ausgesetzt. Ihre gemeinsame Flucht aus der Enge der gesellschaftlichen Konventionen endet in einer Sackgasse: Obwohl Anna couragiert der Stimme ihres Herzens gefolgt ist, bleibt für sie am Ende nur der Tod.
Tolstois epochales Werk – von Thomas Mann als „größter Gesellschaftsroman der Weltliteratur“ bezeichnet – hat zahlreiche Filmemacher zur Auseinandersetzung inspiriert, auch den russischen Regisseur Alexander Sarchi, der die Schlachten der verletzten Seelen 1967 mit psychologischem Gespür und scharfem Beobachtungssinn aufschlüsselte. Tatjana Samoilowa, die in dieser werkgetreuen Verfilmung die tragische Titelheldin gibt, braucht einen Vergleich mit den anderen „Anna Karenina“-Darstellerinnen (Greta Garbo, Vivien Leigh, Jacqueline Bisset und zuletzt Sophie Marceau) nicht zu scheuen.
Anna Karenina UdSSR 1967, 116 Minuten, ab 12 Jahren, R: Alexander Sarchi D: Tatjana Samoilova, Nicolai Grizenco, Vassili Lanovoi