„Nach Worten suchen/ die etwas sagen/ wo man Menschen sucht/ die nichts mehr sagen/ und wirklich noch Worte finden/ die etwas sagen können/ wo man Menschen findet/ die nichts mehr sagen können“, heißt es in Erich Frieds Gedicht „Die Verschwundenen“.
Das Verschwindenlassen ist seit jeher eine besonders perfide Form staatlicher Gewalt gewesen. Ein Mensch verschwindet, wenn er verhaftet wird, ohne dass staatliche Institutionen die Festnahme bekannt machen. Angehörige und Freunde erhalten keine Information über den Verschwundenen. Sie wissen nicht, ob er ermordet wurde oder vielleicht noch lebt.
Verschwindenlassen ist eine Form staatlicher Unterdrückung. Sie ist eingebunden in ein System von Menschenrechtsverletzungen, etwa dem Verbot politischer Organisationen, einer Justiz, die keine Verteidigung zulässt, öffentlichen Hinrichtungen, Folter und Massaker. Der türkische Regisseur Tayfun Pirselimoğlu hat sich in seinem Film „Innowhereland“ dieses wichtigen Themas angenommen.
Zu Beginn sehen wir einen Schriftzug: tausende junger Männer verschwinden Jahr für Jahr in der Türkei. Dann folgt eine Widmung: für Mutter, für alle Mütter. Denn sie, die Mütter, sind es, so Pirselimoğlu, die unter dem Verlust ihrer Söhne am meisten leiden müssen.
Sükran ist eine dieser Mütter. Als ihr Sohn Veysel verschwindet, sucht sie ihn im Leichenschauhaus und bei der Polizei. Auch den „Verein für vermisste Menschen“ schaltet sie ein. Ihre Bemühungen bleiben jedoch erfolglos. Sükran vernachlässigt nicht nur ihre Arbeit als Fahrkartenverkäuferin im Bahnhof, auch ihr Privatleben wird zunehmend von Bewusstseinsstörungen und Verfall bestimmt.
Eines Tages behauptet ein Polizist, Veysel in Mardin, einer Stadt im Südosten des Landes, gesehen zu haben. Zuversichtlich packt Sükran ihre Koffer und reist in den unbekannten Ort, um dort die Suche nach ihrem Sohn fortzusetzen …
Bevor Tayfun Pirselimoğlu, begann Filme zu drehen, studierte er an der Wiener Kunsthochschule Malerei und Bildhauerei. Anschließend veröffentlichte er den Roman „Desert Tales“ und schrieb für eine Reihe international ausgezeichneter Filme die Drehbücher. Auch „Innowhereland“ ist schon mehrfach prämiert worden, beispielweise mit dem „Spezialpreis der Jury“ beim „Internationalen Filmfestival“ in Montreal. Kein Wunder, denn Pirselimoğlus Film ist politisches Kino im besten Sinne, das – anders als etwa Costa-Gavras’ „Missing“ – einen ungeschminkten Blick auf die Verhältnisse in der heutigen Türkei ermöglicht.
Innowhereland Türkei 2001, 105 Minuten, ab 12 Jahren, R: Tayfun Pirselimoğlu, D: Zuhal Olcay, Parkan Ŏzturan, Michael Mendl