Onkel Wanja

Bevor Andrej Konchalovskij nach Hollywood ging, um dort nur noch Belanglosigkeiten wie „Tango & Cash“ zu drehen, war er ein ganz passabler Regisseur. Seine Adaption von Anton Tschechows Bühnenstück „Onkel Wanja“ ist dafür jedenfalls ein Indiz.

Professor Serebrjakow hat sich mit seiner jungen Frau Jelena auf sein Landgut zurückgezogen. Dort trifft er auf den alten Wanja, den Bruder seiner ersten Frau, der das Anwesen verwaltet und sich sein Leben lang für seinen Schwager aufgerieben hat. Es war seine Berufung, dem bewunderten Professor in der fernen Stadt dienen zu dürfen, nun aber muss er erkennen, dass sich hinter Serebrjakows gestelzten Reden nur leeres Geschwafel verbirgt.

Wanja verliebt sich in Jelena – ebenso wie der gescheite Arzt Astrow, auf den Wanjas Nichte Sonja ein Auge geworfen hat – und verliert bald immer mehr den Respekt vor dem Professor. Als ihm dieser auch noch eröffnet, das unrentable Gut verkaufen zu wollen, gerät Wanjas Lebenswerk und die einzige Rechtfertigung seiner freudlosen Existenz in Gefahr.

Konchalovskijs Reise in die Innenwelt dieser Menschen im zaristischen Russland ist keineswegs melancholisch. Im Gegenteil, das Leid der Figuren hat sogar etwas Burleskes; ihre Suche nach dem Glück und ihr Aufbäumen gegen die selbst auferlegten Zwänge inszeniert der Regisseur im Bewußtsein der Absurdität menschlichen Bemühens. Ein Bewußtsein, das selbst die Figuren spüren und auf das sie mit Selbstironie reagieren, dem eigenen Elend können sie allerdings nicht entfliehen. So möchte man den Figuren immer wieder zurufen: „Du mußt dein Leben ändern!“, und weiß doch, dass sie an dieser Veränderung zerbrechen würden.

 

Onkel Wanja UdSSR 1971, 99 Minuten, ab 12 Jahren, R: Andrej Konchalovskij D: Sergej Bondarczuk, Innokenti Smoktunovsky

Mrs Dalloway

„Sie hatte immer das Gefühl, es sei sehr, sehr gefährlich, auch nur einen einzigen Tag zu leben“, heißt es in Virginia Woolfs Erzählung „Mrs. Dalloway“, die Anfang der 20er Jahre in London spielt.

Clarissa Dalloway, von der hier die Rede ist, Gattin des einflussreichen Politikers Richard Dalloway, ist gerade dabei, eine ihrer berühmten Abendgesellschaften vorzubereiten, als nach über 30 Jahren ihre Jugendliebe Peter Walsh vor der Tür steht. Sein überraschender Besuch erinnert Clarissa an die Zeit, als sie sich zwischen ihm und ihrem Ehemann entscheiden musste. Damals wählte sie den biederen Richard, nicht etwa aus Liebe, sondern aus Angst vor dem Leben und um kein Risiko einzugehen. Peter hätte ihr sicherlich mehr Freiheiten zugestanden. Sie erinnert sich auch an ihre unkonventionelle Freundin Sally, mit der sie womöglich das große Glück hätte finden können. Clarissa erkennt, dass sie all die Jahre in einem goldenen Käfig gelebt hat. Von Trauer und unerfüllten Sehnsüchten übermannt, denkt sie daran, Selbstmord zu begehen. Als sie während der Party vom Schicksal eines jungen Kriegsheimkehrers erfährt, der unter einem Trauma leidet, seit sein bester Freund vor seinen Augen von einer Granate zerrissen wurde, verwirft sie diesen Plan jedoch.

Virginia Woolf verknüpft auf kunstvolle Weise die Erlebnisse, Träume und Gefühle zweier Menschen, die sich nie begegnen. Dabei stehen nicht die äußeren Ereignisse im Mittelpunkt, sondern die Innenperspektive der Protagonisten: Gegenwart und Erinnerung, Reales und Imaginäres werden eins.

Nach dem Erfolg ihres Oscar-prämierten Films „Antonias Welt“ adaptierte Marleen Gorris eines der bekanntesten Werke der Frauenliteratur als kontemplatives Kammerspiel, das Clarissas Verwirrung der Gefühle psychologisch differenziert ausleuchtet. Die hochkarätige Besetzung – Vanesse Redgrave und Natasha McElhone – gleicht manch inszenatorische Unbeholfenheit mühelos aus und garantiert Kinogenuß auf höchstem Niveau.

 

Mrs Dalloway NL/GB/USA 1997, 97 Minuten, ab 12 Jahren, R: Marleen Gorris D: Vanessa Redgrave, Natasha McElhone, Alan Cox, Rupert Graves