Er hatte den kindlichen Blick. Mit seinen traurigen Clownsaugen schien er Gefahren nicht zu sehen, also existierten sie auch nicht. Genauso wenig wie Kleiderordnungen, Verkehrsregeln oder Moralvorschriften.
Charles Spencer Chaplin, den alle nur „Charlie“ nannten, hatte durchaus Stil. Sein pikiertes Naserümpfen war von den oberen Zehntausend ausgeborgt, ein Requisit wie das Hütchen, das er unnachahmlich zur Seite lüften konnte, die Pluderhosen, die abgenutzten Schuhe und der Schlips, der wie eine Henkersschlinge wirkte. Seinen Spazierstock gebrauchte er gekonnt dandyhaft. Er versuchte sich zu arrangieren, sich anzupassen, um Einlaß in den Salons zu finden, auch wenn sein plebejisches Temperament ein ums andere Mal durch die Fassade brach: Dann schlug er wild um sich und entblößte seine Raubtierzähne.
1914 trat Charlie das erste Mal als Tramp auf. Schnell wurde diese Figur aus kindlicher Unschuld und Angriffslust zu seiner Paraderolle: ein Habennichts, für den es immer um die Wurst ging, der perfekte kleine Mann. In „Moderne Zeiten“, jener unvergleichlichen Mischung aus Slapstick und Sozialkritik, aus Melancholie und Maschinenstürmerei, gab er die Rolle zum letzten Mal.
Unvergessen sind natürlich die Szenen, die in der Fabrik spielen: Charlie, dem eine neuartige Füttermaschine das Essen um die Ohren haut, der vor den nervtötenden Handgriffen am Fließband so weit kapituliert, dass er beginnt, an einer Frau herumzuschrauben – und schließlich den monströsen Apparat lahm legt. Auch der Song, den er am Schluss zum Besten gibt, ist eine Glanznummer: Mit einem genialen Wortfetzen-Kauderwelsch parodierte Chaplin den acht Jahre zuvor eingeführten Tonfilm.
Ein Kronjuwel aus der Schatzkammer des Kinos.
Modern Times (Moderne Zeiten) USA 1936, 87 Minuten, ab 6 Jahren, R: Charles Chaplin, D: Charlie Chaplin, Paulette Godard, Henry Bergman