Leoparden küsst man nicht (Bringing Up Baby)

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Man nehme eine ordentliche Portion Puritanismus, der nichts erlauben will, verrühre ihn mit einer Messerspitze Romantik, der alles möglich scheinen soll, und füge haufenweise Gags hinzu, die all jene verspotten, die sich etwas entgehen lassen: Fertig ist eine Screwball-Comedy!

Was heutzutage auf den ersten Blick wie cineastisches Fast food wirkt, war damals in den 30ern ein höchst delikater, vollwertiger Schmaus für Augen und Ohren, aufgrund seiner Ingredienzen (Süßholzraspel mit scharfer Zungen) für viele oft schwer verdaulich. Auch das Frauenbild, das dieses Genre dem amerikanischen Publikum auftischte, hat manch einem wohl den Appetit verdorben. Frauen waren plötzlich selbstbewusst und fantasievoll, oft auch unkonventionell, und sie machten sich einen Spaß daraus, leicht durchgeknallte Männer zu erobern; Wirrköpfe (= Screwballs) eben, die ihre Selbstverwirklichung nicht in sinnlichen Erfahrungen suchten, sondern in abwegigen Zielen und spleenigen Ideen.

So auch in Howard Hawks’ „Leoparden küsst man nicht“ von 1938, einem der Klassiker der Screwball-Comedy. Professor Huxley (Cary Grant) bosselt nun schon seit Jahren an einem Dinosaurierskelett herum. Eine Million Dollar heimst er ein, sollte er sein Werk endlich vollenden. Doch dann kommt es zur Katastrophe: ausgerechnet der letzte Knochen des Dinos wird von Asta gemopst, dem Foxterrier der launischen Millionenerbin Susan (Katharine Hepburn). Diese ist gleich Feuer und Flamme für den zerstreuten Professor und nimmt sein Leben in den Griff. Ein Würgegriff, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Mit höllischem Tempo und exaktem Timing inszenierte Hawks seine Version des ewigen Geschlechterkampfes, die darin besteht, dass die Frau den Mann zur Erschöpfung bringt. Denn um bei ihm Ruhe zu finden, muss sie ihn erst einmal in Chaos und Nervenzusammenbruch stürzen. Also liefern sich Cary Grant als liebenswerter Bücherwurm und Katherine Hepburn, die vor Temperament und Sexappeal aus allen Nähten platzt, einen verbalen Schlagabtausch, der einem selbst heute noch die Ohren schlackern und das Zwerchfell kollabieren lässt.

 

Leoparden küsst man nicht USA 1938, 102 Min., R. Howard Hawks, D. Cary Grant, Katherine Hepburn, May Robson, Charlie Ruggles

Cabaret

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„Willkomen, Bienvenue, Welcome“ – mit diesem Song begrüßt der Conferencier (Joel Grey) allabendlich die Gäste des Berliner „Kit-Kat“-Clubs, von denen nicht wenige verdrängen möchten, was sich in Deutschland zu Beginn der 30er Jahre zusammenbraut. Gefeierter Star der schrillen Bühnenshow ist die Sängerin Sally Bowles (Liza Minelli). Sie träumt von der großen Karriere und – als sie dem Engländer Brian (Michael York) begegnet – auch von der großen Liebe. Ihr Traum wird wahr – wenn auch nur für kurze Zeit. Denn Brian ist nicht der einzige Mann im Leben der lebenshungrigen Frau: Mit dem deutschen Playboy Baron von Heune (Helmut Griem) beginnt sie eine Affaire, die nicht ohne Folgen bleibt. Nach einem Wochenende auf dem Schloss des Adligen gesteht Sally Brian, schwanger zu sein – ob von ihm oder von Heune, vermag sie allerdings nicht zu sagen. Obwohl Brian ihr einen Heiratsantrag macht, entschließt sie sich zu einer Abtreibung. Während er daraufhin Berlin verlässt und Sally wieder auf der Bühne steht, als wäre nichts geschehen, beginnt draußen vor dem Club der deutsche Albtraum.

Bob Fosses mit acht „Oscars“ ausgezeichnete Verfilmung des Broadway-Erfolges „Cabaret“ unterschied sich in etlichen Szenen von der Vorlage. Zudem schrieben John Kander und Fred Ebb drei neue Songs – „Mein Herr“, „Maybe this Time“ und „Money, Money“ –, die später auch in die Bühnenfassung eingearbeitet wurden.

Einen der „Oscars“ erhielt Liza Minelli, die damit endlich aus dem Schatten ihrer berühmten Mutter Judy Garland heraustreten konnte. Ein weiterer „Oscar“ ging an den deutschen Set-Designer Rolf Zehetbauer, der für die Kulissen in den Münchner „Bavaria“-Studios verantwortlich war. Keinen „Oskar“ gab es jedoch für Nebendarsteller Fritz Wepper; dafür durfte er wenig später seine Karriere im deutschen Fernsehen starten – als „Harry Klein“, dem untadeligen Assistenten von „Derrick“.

 

Cabaret USA 1972, 124 Min., R. Bob Fosse, D. Liza Minelli, Michael York, Helmut Griem

Im Zeichen des Bösen (Touch of Evil)

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Ausgerechnet Charlton Heston –jenem verknöcherten Hollywood-Haudegen also, der gerade zum dritten Mal Vizepräsident der „Vereinigung amerikanischer Waffenbesitzer“ geworden ist – hat Orson Welles die Regie von „Im Zeichen des Bösen“ zu verdanken. Eigentlich war Welles nämlich nur für die Rolle des desillusionierten Cops Quinlan vorgesehen. Da aber Heston, der die Hauptrolle des mexikanischen Drogenfahnders Mike Vargas spielen sollte, ein großer Bewunderer des bisweilen recht exzentrischen Filmemachers war und sich bei den Produzenten für ihn einsetzte, durfte Welles – wenn auch nur für die Darsteller-Gage – das Drehbuch überarbeiten und den Film inszenieren.

Whit Mastersons Roman „Badge of Evil“ ist von Welles in einigen wichtigen Punkten verändert und erweitert worden. So etwa um zwei Themen, die in seinen Arbeiten von Bedeutung sind, in der Vorlage aber nicht auftauchen: Rassismus und Vorurteile. Herausgekommen ist schließlich ein vielschichtiger Thriller, in dem ein Mord in einer öden mexikanischen Grenzstadt das tödliche Duell zwischen zwei grundverschiedenen Männern nach sich zieht. Ein Thriller, der intelligent an die Tradition des „Film Noir“ anknüpft, um sie gleichzeitig ad absurdum zu führen.

Auch wenn „Im Zeichen des Bösen“ damals ein kommerzieller Reinfall gewesen ist, wurde er von vielen als das Meisterwerk gewürdigt, als das es allein wegen seiner Atmosphäre, seiner Fotografie und der brillanten Nebendarsteller (Janet Leigh, Marlene Dietrich, Joseph Cotton und Zsa Zsa Gabor) gelten muss.

 

Im Zeichen des Bösen USA 1958, 105 Min., R. Orson Welles, D. Charlton Heston, Orson Welles, Janet Leigh, Marlene Dietrich

Der König tanzt (Le Roi danse)

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Vom Tellerwäscher zum Millionär, vom unbedeutenden Geiger zum Hofkomponisten: Es war zweifellos eine Bilderbuchkarriere, die der Italiener Jean-Baptiste Lully als Protegé Ludwig XIV machte. Für den Sonnenkönig komponierte er eine Musik, die der gigantischen Inszenierung und Choreografie des höfischen Zeremoniells vollkommen entsprach, gleichsam einen Soundtrack des Absolutismus.

Nach „Farinelli“ – 1995 für einen Oscar nominiert – hat der belgische Regisseur Gérard Corbiau nun das Leben dieses äußerst anpassungs-fähigen Komponisten auf die Leinwand gebracht – und mit ihm den eigenartigen Reiz seiner Musik.

„Der König tanzt“ besticht zuerst einmal durch seine erlesene Schönheit: Tableaus, die aussehen wie von Le Brun oder Mignard gemalt; Landschaften mit einem Licht und einer Tiefe, dass einem der Atem stockt; Interieurs, die so wunderschön sind, dass man um ein Haar von falschen Träumen einer besseren Vergangenheit übermannt wird. Corbiau – bekanntermaßen ein Präzisionsfanatiker – hat mit monomanischer Besessenheit eine ganze Epoche rekonstruiert.

Bald aber wird deutlich, dass es sich nur um einen ziemlich eisigen Kostümfilm mit viel – fast möchte man sagen: zu viel – Musik handelt, in dem die Figuren wie verlorene Marionetten agieren. So auch Lully (Boris Terral), der seinen König (Benoît Magimel) zu Beginn abgöttisch verehrt, doch prompt zum undankbaren Choleriker wird, sobald dieser ihm nicht mehr richtig zugetan ist und nur mehr Musik von ihm haben will. Und dann wird auch noch Molière (Tcheky Karyo), Ludwigs XIV Lieblingsdichter und Lullys bester Freund, zu seinem künstlerischen Rivalen – während am Hof hinterhältige Intrigen gesponnen werden.

Eine Aura von Vergeblichkeit verdunkelt alle Anstrengungen des Komponisten. Den ganzen Film über bleibt er ein Getriebener, der unentwegt auf die königlichen Kapriolen zu reagieren versucht. Und am Ende rammt er sich im Takt seiner Musik auch noch einen Stock in den Fuß und stirbt. Das hat er nicht verdient, Monsieur Corbiau!

 

Der König tanzt Deutschland/Belgien/Frankreich 2000, 108 Min., R. Gérard Corbiau, D. Boris Terral, Benoît Magimel, Tcheky Karyo

Lohn der Angst (Le Salaire de la peur)

Am Anfang ist nur eine öde, ausgeglühte Landschaft irgendwo in Südamerika. Eine Atmosphäre vollkommener Trostlosigkeit, die in die dreckigen Hütten hineinkriecht und auch in die Menschen, die das raue Leben ausgerechnet hier hat anlanden lassen: das Schlitzohr Mario (Yves Montand) beispielsweise, Luigi (Folco Lulli) oder der geheimnisumwitterte Deutsche Bimba (Peter van Eyck). Später stößt noch Jo (Charles Vanel) zu diesem Haufen desillusionierter Nichtstuer, Aufschneider und Säufer. Doch der ist auch nicht viel besser.

Dann geht die Geschichte los. Hoch-explosives Nitroglyzerin muss übers Gebirge zu einer brennenden Ölquelle gebracht werden. Stellvertretend für uns alle ziehen die ungleichen Desperados aus in das Land Nirgendwo, in die Wunderwelt der Verheißungen und Verlockungen. Natürlich wissen sie, dass auf dem Weg dorthin die Gefahr lauert, aber es winkt auch reicher Lohn – genug, um in das wahre Leben zurückzukehren. So wird das Himmelfahrtskommando zu einer letzten Bewährungschance.

Henry-Georges Clouzot hat „Lohn der Angst“ 1952 als perfekte Mischung aus Thriller und Road-movie inszeniert, die nicht nur durch intelligenten Nervenkitzel, sondern ebenso durch psychologische Akku-ratesse begeisterte. Auch heute kann man sich dieser verzweifelten, ja fast hypnotischen Suche nach der besseren Welt, die für die vier Abenteurer schließlich tödlich endet, kaum entziehen. Zwei von ihnen fliegen in die Luft. Einer wird überfahren, und der letzte tanzt – die Taschen voller Dollars – mit seinem Laster Walzer und … Ach, ich finde, das sollten Sie sich unbedingt selbst ansehen.

Lohn der Angst Frankreich/Italien 1953, 148 Min., R: Henri-Georges Clouzot D: Yves Montand, Charles Vanel, Peter van Eyck

8 Frauen (8 Femmes)

8Frauen Sie sind attraktiv. Sie sind verlockend. Sie sind hinterhältig. Und sie haben ihre Geheimnisse. Die acht Frauen in dem gleichnamigen Film von François Ozon („Unter dem Sand“), gespielt von der Crème de la Crème des französischen Kinos: Von Catherine Deneuve über Fanny Ardant bis zu Emmanuelle Béart.
Es beginnt in einer winterlichen Idylle. Eine einsame Villa im Schnee. Zum Weihnachtsfest kommt hier die liebe Familie zusammen. Bald wird eine Leiche entdeckt, der Herr des Hauses, mit einem Messer im Rücken. Eine schöne Bescherung! Niemand darf das Haus verlassen. Und niemand kommt mehr hinein. Die acht Frauen machen sich auf die Suche nach dem Schuldigen. Auch wenn der Täter bis zuletzt nicht überführt werden kann, müssen die Frauen nach und nach andere Schandtaten eingestehen: Lügen, Ehebrüche, Mord – nichts ist diesen ehrenwerten Damen fremd.

Ein Boulevardstück von Robert Thomas diente als Vorlage für Ozons Feuerwerk an schrägen Ideen und überraschenden Situationen. Dass seine Stars auch noch anfangen zu singen, eine schöner als die andere, gibt der dramatischen Komödie einen zusätzlichen Reiz. Wenn etwa Danielle Darieux voller Sinnlichkeit „Il n’y a pas d’amour heureux“ anstimmt, wenn sich die giftige Jungfer Isabelle Huppert in eine Diva à la Rita Hayworth verwandelt oder wenn Catherine Deneuve und Fanny Ardant nicht gerade damenhaft mit den Fäusten aufeinander losgehen.

Über fünf Millionen Kinobesucher sahen die „8 Frauen“ allein in Frankreich. Bei den Filmfestspielen in Berlin wurde diese brillante Melange aus Agatha-Christie-Krimi, Satire und Porträtstudie mit dem silbernen Bären ausgezeichet.

 

8 Frauen Frankreich 2002, 108 Minuten, ab 12 Jahren, R: François Ozon, D: Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Fanny Ardant, Danielle Darrieux

Spiel mir das Lied vom Tod (C’era una volta il West)

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„Habt ihr ein Pferd für mich mitgebracht?“ fragt der namenlose Mundharmonikaspieler, der an der einsamen Bahnstation aus dem Zug gestiegen ist, doch die drei Halunken in den langen Mänteln scheinen ihn nicht ernst zu nehmen: „Wie du siehst, sind da nur drei Pferde. Sollten wir tatsächlich eines vergessen haben?“ „Ihr habt zwei Pferde zuviel“, erwidert er lakonisch, bevor er das Trio ins Jenseits befördert.

Auch wenn der Originaltitel von Sergio Leones barocker Pferdeoper – „Es war einmal im Westen“ – eher ein Märchen vermuten lässt, sind fast alle Stilmittel des Western vorhanden: der Mann und seine Rache, die Guten und die Bösen, das Duell, der Kampf der Siedler gegen den Fortschritt – symbolisiert durch den Bau der Eisenbahn.

Spektakulär ist die Form der Inszenierung, die den Mythen der amerikanischen Geschichte einerseits huldigt, sie andererseits aber zur pessimistischen, oft gar zynischen Auflösung treibt. Durch den Einsatz extremer Naheinstellungen und Zeitdehnungen (minutenlang krabbelt eine Fliege über das Gesicht des Killers) erzeugt der Film fast rauschhafte Zustände und ermöglicht damit einen Einblick in die Tiefenstruktur des (Italo-)Western.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ folgt nichtliterarischen Erzählmustern und entfaltet sich gänzlich aus der Opulenz seiner Bilder und dem legendären Soundtrack von Ennio Morricone.

 

Spiel mir das Lied vom Tod Italien/USA 1968, 164 Minuten, ab 16 Jahren, R: Sergio Leone, D: Henry Fonda, Charles Bronson, Claudia Cardinale, Jason Robards

Barcelona für ein Jahr (L’Auberge Espagnole)

Früher oder später erwischt es jeden: das Leben oder das, was man dafür hält. Das gilt auch für Xavier, dessen bisherige Laufbahn als Student der Wirtschaftswissenschaften eher ereignislos verlief und dessen berufliche Zukunft sowieso in trockenen Tüchern zu sein scheint.

Vorher soll die eigene Mittelmäßigkeit allerdings noch mal massiv aufgemischt werden. Zum ersten Mal weg von Mamas saftigen Steaks und den reizenden Lippen der Freundin. Zum ersten Mal richtig was erleben. Xavier genehmigt sich mit dem EU-Förderprogramm Erasmus zwei Auslandssemester in Barcelona, um mit Twenty-Somethings aus anderen EU-Ländern den multikulturellen Gemeinschaftssinn zu erproben.

Was folgt, ist ein sprachliches und kulturelles EU-Chaos in Miniatur: „L’Auberge Espagnole“, so der Originaltitel von Céderic Klapischs europäischer Teeniekomödie „Barcelona für ein Jahr“.

Statt der in Hollywood üblichen grenzdebilen Zoten, präsentiert das französische Regietalent seine „Coming-of-Age“-Story mit einer ordentlichen Portion Charme: Es stimmt alles, die absurden Diskussionen über Klischees: „Spanien ist mehr als Flamenco“ oder „Ihr Deutschen seid immer so penibel“, gemeinsam aus einer Kneipe torkeln und mit Lachkrämpfen in den Morgen fallen. Der Prof, der sich mit kindischem Stolz weigert, den Erasmus-Studenten zuliebe Spanisch zu sprechen, man sei schließlich in Katalonien. Die Entfremdung von den Daheimgebliebenen. Die entsetzliche Zeit vor dem Abschied, wenn man sich noch ein letztes Mal gemeinsam betrinkt, in der Gewissheit, dass man gehen muss, weil der Aufenthalt, der einem bereits wie ein ganzes Leben erscheint, doch nur ein kurzes Zwischenspiel sein kann.

Barcelona für ein Jahr Frankreich/Spanien 2002, 122 Minuten, ab 6 Jahren, R: Cédric Klapisch, D: Romain Duris, Audrey Tautou, Barnaby Metschurat

Modern Times (Moderne Zeiten)

moderntimes Er hatte den kindlichen Blick. Mit seinen traurigen Clownsaugen schien er Gefahren nicht zu sehen, also existierten sie auch nicht. Genauso wenig wie Kleiderordnungen, Verkehrsregeln oder Moralvorschriften.

Charles Spencer Chaplin, den alle nur „Charlie“ nannten, hatte durchaus Stil. Sein pikiertes Naserümpfen war von den oberen Zehntausend ausgeborgt, ein Requisit wie das Hütchen, das er unnachahmlich zur Seite lüften konnte, die Pluderhosen, die abgenutzten Schuhe und der Schlips, der wie eine Henkersschlinge wirkte. Seinen Spazierstock gebrauchte er gekonnt dandyhaft. Er versuchte sich zu arrangieren, sich anzupassen, um Einlaß in den Salons zu finden, auch wenn sein plebejisches Temperament ein ums andere Mal durch die Fassade brach: Dann schlug er wild um sich und entblößte seine Raubtierzähne.

1914 trat Charlie das erste Mal als Tramp auf. Schnell wurde diese Figur aus kindlicher Unschuld und Angriffslust zu seiner Paraderolle: ein Habennichts, für den es immer um die Wurst ging, der perfekte kleine Mann. In „Moderne Zeiten“, jener unvergleichlichen Mischung aus Slapstick und Sozialkritik, aus Melancholie und Maschinenstürmerei, gab er die Rolle zum letzten Mal.

Unvergessen sind natürlich die Szenen, die in der Fabrik spielen: Charlie, dem eine neuartige Füttermaschine das Essen um die Ohren haut, der vor den nervtötenden Handgriffen am Fließband so weit kapituliert, dass er beginnt, an einer Frau herumzuschrauben – und schließlich den monströsen Apparat lahm legt. Auch der Song, den er am Schluss zum Besten gibt, ist eine Glanznummer: Mit einem genialen Wortfetzen-Kauderwelsch parodierte Chaplin den acht Jahre zuvor eingeführten Tonfilm.

Ein Kronjuwel aus der Schatzkammer des Kinos.

 

Modern Times (Moderne Zeiten) USA 1936, 87 Minuten, ab 6 Jahren, R: Charles Chaplin, D: Charlie Chaplin, Paulette Godard, Henry Bergman

Die Entdeckung des Himmels

entdeckungdeshimmels„Ein heiteres Spiel, ein ernster Scherz“ nannte Harry Mulisch sein 1992 erschienenes Opus Magnum „Die Entdeckung des Himmels“, einen 870-seitigen Roman, der Zeitgeschichte der 60er und 70er Jahre, Theologie und Philosophie verbindet.

Wie verfilmt man so ein Werk? Im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit. Der holländische Schauspieler Jeroen Krabbé („Auf der Flucht“) hat es gewagt – und einen Achtungserfolg errungen. Seine Adaption ist mitreißendes und anspruchvolles Kino, eine Kombination aus Mystery-Thriller und Drama. Der Preis dafür: eine vollständige Reduktion der Vorlage auf ihre pure Handlung.

Mitte der 60er-Jahre lernen sich zwei ungleiche Männer kennen: der charmante Astrophysiker Max (Greg Wise) und Onno (Stephen Fry), ein exzentrischer Nachwuchspolitiker. Schon bald verbindet sie eine so enge Freundschaft, dass sie sich die „kosmischen Zwillinge“ nennen – und sich in dieselbe Frau verlieben, die bezaubernde Musikerin Ada (Flora Montgomery). Was der Roman kaum thematisiert, wird in Krabbés Film von Anfang an angesprochen: Das ausschweifende Treiben der Flower-Power-Generation ist kein Sittenverfall, sondern vom Schöpfer beabsichtigt. Denn Gott hat Adas ungeborenen Sohn dazu auserwählt, ihm Moses‘ verschollene Steintafeln mit den Zehn Geboten zurückzubringen.
Bei Mulisch ist diese wundersame Mechanik in ein dichtes Netz feinsinniger Diskurse eingebunden, die auf der Leinwand nicht immer darstellbar sind. Krabbé beschränkt sich auf einen zentralen Gedanken, weil er mit ihm den ganzen Stoff in den Griff bekommt: den Gedanken des Determinismus, versinnbildlicht im Getriebe alter Uhrwerke. Deshalb dreht sich alles in diesem Film, die Figuren, das Leben, die Kamera, selbst das Firmament, denn alles gehorcht einem rätselhaften Plan.

In seiner Rasanz entfaltet „Die Entdeckung des Himmels“ eine bezwingende Magie, da nimmt man sogar das triefende Himmelfahrts-Finale in Kauf.

 

Die Entdeckung des Himmels NL 2001, 132 Minuten, ab 12 Jahren, R: Jeroen Krabbé, D: Stephen Fry, Greg Wise, Flora Montgomery, Neil Newbon