„Eigentlich bin ich ja ein Schwein. Aber was hilft’s? Es muss sein!“, lässt Jean-Luc Godard seinen Protagonisten Michel gleich zu Beginn von „Außer Atem“ sagen. Michel (Jean-Paul Belmondo) ist in einem geklauten Auto unterwegs von Marseille nach Paris, um seinen Anteil aus irgendeinem schmutzigen Geschäft zu kassieren. Als ihn ein Polizist kontrollieren will, tötet er diesen mit einer Pistole, die er im Handschuhfach gefunden hat. In Paris sucht er seinen Komplizen auf, findet dort aber nur einen Verrechnungsscheck vor. Da ihm die Polizei bereits auf den Fersen ist, kann er den Scheck nicht einlösen. Er erinnert sich an Patricia (Jean Seberg), eine amerikanische Studentin, die er von einem früheren Besuch her kennt. Patricia lässt sich tatsächlich auf eine Beziehung mit Michel ein, denunziert ihn jedoch
später bei der Polizei. Im letzten Moment warnt sie ihn noch, es ist allerdings zu spät. Michel legt es geradewegs darauf an, von der Polizei erschossen zu werden.
Godard erzählt vom Wesentlichen. Von großen Gefühlen zum Beispiel: Wenn es mit der Liebe nicht klappt, dann muss eben der Tod herhalten. Er hält an dem Wenigen fest, das wirklich wichtig ist: Patricias beengtes Hotelzimmer mit dem riesigen Bett, ihr graziler und Michels athletischer Körper, der endlose Disput aus Worten, Blicken, Gesten, bevor sie sich schließlich unter der Bettdecke verdrücken. Die lauten Straßen der französischen Hauptstadt, Stimmen, die ihren Klang wechseln, Humphrey Bogart, das Rauchen, das Gehen, Unterwegssein, Bleibenwollen, die lauernde Gefahr auf Schritt und Tritt.
Godard legt das lockere Netz der Subkultur frei, die bis in den Untergrund reicht. Das Abenteuer eines Lebens ohne Gesetze und Verordnungen und den gewaltsamen Tod als Konsequenz. „Außer Atem“ ist in nur vier Wochen gedreht worden: an Originalschauplätzen, Nachts und im Morgengrauen, oft improvisiert und aus der Hand fotografiert. Eine der vielen technischen Innovationen ist der „Jump Cut“, Godards dynamisches Montagekonzept, das vor allem eine rhythmisierende Funktion hat. Der Film entstand nämlich ohne Ton und wurde später synchronisiert. Dabei schnitt Godard den Ton auch mitten im Satz, wodurch der Tonschnitt bewusst hervorgehoben wurde.
Ohnehin wollte Godard alles Mögliche in seinem Debüt unterbringen. Dadurch erhielt der Film nicht nur die Dramatik des klassischen Gangsterfilms, sondern auch die Komplexität des Avantgardefilms. Zudem entwickelte er sich zu einem wahren Sammelsurium handwerklicher Regelverstöße, die inzwischen ins Lehrbuch des neuen Kinos eingegangen sind. Und Godard wurde für die meisten Cineasten zum Messias.
Außer Atem Frankreich 1959, 89 Minuten, ab 18 Jahren, R: Jean-Luc Godard, D: Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg, Henri-Jaques Huet, Jean-Pierre Melville